GESCHICHTSBAUSTELLE AMS
••• Wer erzählt die Geschichte der Arbeitslosigkeit? Seitdem ich politisch denken kann, seit Mitte der 1990er Jahre, diktiert Austeritätspolitik den politischen Alltag. Regierungen haben Sparpaket an Sparpaket gereiht, Sozialabbau forciert, Streichungen diskutiert, Verschärfungen propagiert, Zumutbarkeiten ausgeweitet. Die massive soziale Entsicherung wurde als alternativlos verkauft. Kompensiert wurde die Destabilisierung sozialer Sicherheit mit den schwammigen Garantien einer autoritären Ordnung: Sicherheit, Sauberkeit und Heimat. So ist es auch kein Zufall, dass die Austeritätspolitik Hand in Hand ging mit einer schrittweisen Verschärfung des sogenannten Fremdenrechts, einer Etablierung rassistischer Diskussionen, der Konstruktion von Identität und Differenz entlang derer Ausschluss und selektive Gewalt organisiert werden kann. Eine Erosion, eine Verschiebung: hin zu einer autoritären Ordnung, in der eindimensionale Ordnungsbilder und Konzepte von Sauberkeit Raum und Zeit einengen und das Handeln der Ordnungshüter_innen dominieren. Universelle (Menschen-)Rechte? Schnee von gestern! Unterschiedlichste Arbeitstitel und Aufenthaltstitel steuern die soziale Stellung in Arbeit, Arbeitslosigkeit oder (vermeintlicher) Privatheit. Seit Mitte der 1990er Jahre passierte die neoliberale Durchflutung jeglicher Lebensbereiche, eine umfassende Landnahme und die Umverteilung von Allgemeingut in das Eigentum der Wenigen. Nicht einmal die Finanzmarktkrise im Jahr 2009 konnte die Eliten davon abbringen, ihre blutarmen Hoffnungen weiterhin in die fahle Strahlkraft des (Finanz-)Kapitalismus zu investieren. Ganz im Gegenteil wird paradoxerweise gerade die sog. Krise zur Legitimation der Austeritätspolitik, zur Beibehaltung undemokratischer oder scheindemokratischer Verhältnisse in Märkten, in Unternehmen, in Institutionen und in anderen Häusern bzw. zur weiteren Verschärfung innerhalb einer dysfunktionalen Arbeitsmarktverwaltung heran gezogen. No Joke. Derweilen lanciert der Parteiobmann die nächste Kampagne gegen die faulen Arbeitslosen, denen, so das lachhafte Stereotyp, fürs Nichtstun auch noch Geld nachgeschleudert werde. Solange die gewählten und nichtgewählten Eliten weiterhin die Milliarden nach Belieben herum schieben können - weil Vermögenssteuern den neofeudalen Zeitgeist beschmutzen könnten, eine Alternative unterm Regenschirm nicht denkbar ist, die Ansteckungsgefahr derzeit einfach zu groß und die Fantasie bedrückend schmal und dennoch (oder gerade deswegen) maximal aggressiv geworden ist - gilt: Forever blowing bubbles. So verwickeln wir uns in verwirrende Diskussionen. Ein, zwei dumme Bilder, zwei Zeitungen die sie ventilieren, den Schleudergang einstellen, fertig ist die Bürgerbeteiligung in Zeiten der Postdemokratie. Aber überall und allerortens kriechen die Verdrängten zurück in die saubere Ordnung. Alles wird verdächtig. Und umso mehr muss die gute Ordnung ausscheiden, bekämpfen, verdrängen, beseitigen, verleugnen und beschönigen. Wer kennt schon die Geschichte der Arbeitsmarktverwaltung? War nicht schon immer das Service groß geschrieben? Und wenn sich niemand in Kursen oder Zwangsmaßnahmen mit der ambivalenten Geschichte von Arbeitslosigkeit im Kapitalismus auseinandersetzte, wenn kein Cent und kein Gedanke in differenzierte Kritik der Verhältnisse fließt, wenn einfach niemand niemals über die himmelschreiende Kaputtheit der Arbeitsmarktverwaltung nachdächte, niemand die Statistiken mehr lesen könnte und wenn einfach immer weiter Experten/Expertinnen statt streitbarer "Arbeitslose" ans Mikrophon gebeten werden, dann hätten wir alle keine Probleme und könnte einfach gemütlich Häusl bauen, grillen und mit dem Auto ö3 hörend von Niederösterreich in die Hacken nach Wien fahren. Die Geschichtsbaustelle knüpft an die Geschichtswerkstätten an. Diese standen in den 1970er und 1980er Jahren in vielfältigen Austausch mit Arbeitsmarktverwaltung, mit Arbeitslosigkeit im Übergang von industrieller zu postindustrieller Arbeit (und Landschaft) und in der Erschaffung neuer selbstbestimmter (und tendenziell prekärer) Arbeitsverhältnisse. Im Kontext einer sogenannten experimentellen Arbeitsmarktverwaltung (Sozialminister Alfred Dallinger) dienten die lebensgeschichtlichen und sozio-kulturellen Modelle von Geschichtswerkstätten als Ideengeberinnen für eine so geheissene Aktivierung von Arbeitslosen. Der Kapitalismus ist zu Ende. Schön wäre es. Auf jeden Fall möchte ich auf der Geschichtsbaustelle AMS eine differenzierte Kritik üben, Dinge auseinander legen, Statistiken diskutieren, Erfahrungsberichte aus der Welt der Zwangsmaßnahmen veröffentlichen, Sprachbeispiele aus der Servicewelt belächeln und ich will historische Arbeitsämter, Arbeitsnachweise, Ausgesteuerte mit aktuellen Bildern von Arbeit und Nichtarbeit in Kollission bringen. Damit einmal nicht die falschen Schmalspurphrasen im Weg stehen mögen. Wo studiert man eigentlich Arbeitsmarktexperte oder Arbeitsmarktexpertin?